Wer orchestriert die Mobilität der Zukunft?

Ein Gespräch über die Zukunft von MaaS

Mit Olga Nevska, Sampo Hietanen, Andreas Hermann. Moderator: Björn Bender

Sampo, du hast mit MaaS Global das Thema Mobility-as-a-Service in Europa geprägt. Würdest du für uns definieren, was MaaS heute für die ganze Branche bedeutet?

Sampo Hietanen: Es gibt viele Definitionen, und das ist gut so. Für mich gibt es drei Perspektiven auf MaaS: Für die Menschen bedeutet es einfachen Zugang zu Mobilität – eine Art Abo für alle Transportmittel. Für die Industrie ist es ein Vorgeschmack darauf, wie Disruption in der Mobilität aussehen kann. Und für die Städte bietet es eine enorme Chance zur Veränderung. Seit etwa 100 Jahren leben wir mit dem Auto, aber irgendwann wird auch dieser König fallen. Mit MaaS definieren wir jetzt, wie die Zukunft der Mobilität aussieht.

Olga, die Deutsche Telekom betreibt die zweitgrößte Flotte des Landes. Es ist beeindruckend, wie ihr euch in den letzten Jahren von einem Fuhrparkmanager zu einem Mobilitätsprovider entwickelt habt. Wie hat sich euer Blick auf das Thema Mobilität verändert?

Olga Nevska: Ein Unternehmen kann seinen Mitarbeitenden heute nicht mehr nur Autos zur Verfügung stellen. Erstens ist das ineffizient, zweitens können wir so unsere ESG-Ziele nicht erfüllen, und drittens entspricht es nicht mehr den Wünschen der Mitarbeitenden. Wir haben in die Dekarbonisierung unserer Flotte investiert und als erstes DAX-Unternehmen die Firmenwagen komplett auf Elektro umgestellt. Aber das reicht nicht! Gleichzeitig haben wir unser Portfolio diversifiziert und um Shared Services wie Car- oder Bike-Sharing sowie Shuttle-Angebote erweitert. Unsere Servicetechniker nutzen heute Scooter in den Innenstädten, und immer mehr Kolleginnen und Kollegen fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit. Wenn wir die Mobilität unserer Mitarbeitenden aber wirklich verändern wollen, ist Digitalisierung entscheidend. Da war MaaS für uns die richtige Antwort – eine App mit einfachem und intelligentem Zugang zu verschiedenen Transportmitteln.

Mit goodride betreibt ihr inzwischen eure eigene MaaS-Plattform, die aus einem internen Projekt entstanden ist und nun auch Bürgerinnen und Bürgern in ganz Deutschland zur Verfügung steht. Wie kam es dazu?

Olga: Ich bin überzeugt, dass wir neue Player brauchen, um Mobilität aus der Kundenperspektive zu gestalten. Der Mobilitätsmarkt erlebt gerade eine massive Disruption – technologisch, ökonomisch und ökologisch getrieben sowie aus Kundensicht. Neben Automobilunternehmen drängen Tech-Provider wie Uber und Google ins Spiel, ohne eigene Mobilitätsmittel zu besitzen. Daher lag es auf der Hand, dass auch die Deutsche Telekom hier eine starke Rolle spielen kann, da wir sehr viele etablierte Kundenzugänge haben.

Andreas, du betrachtest autonomes und vernetztes Fahren aus wissenschaftlicher Sicht und betonst oft, dass technologische Fortschritte ein Umdenken bei den Menschen erfordern. Hat MaaS deiner Meinung nach eine Chance?

Andreas Hermann: Wir fassen die Revolution im Mobilitätssektor oft mit dem Kürzel CASE zusammen: Connected, Autonomous, Electric und Shared. Die ersten drei sind technologisch bereits möglich oder werden es bald sein. Das Teilen scheint mir jedoch das Schwierigste zu sein, da es mit einer Veränderung des menschlichen Verhaltens verbunden ist. In Deutschland ist das Auto nach wie vor Teil der Selbstpräsentation im sozialen Leben; es spiegelt soziale Akzeptanz und beruflichen Erfolg wider. Jetzt kommt ihr mit MaaS und sagt: „Hey, du brauchst kein eigenes Auto mehr.“ Das ist sicherlich der richtige Weg – aber ich glaube, wir müssen noch einige emotionale Hürden überwinden.

Sampo, ist unsere Gesellschaft bereit für MaaS oder bleibt es ein Buzzword?

Sampo: Ich stimme Andreas zu! Wir müssen etwas Besseres finden als Eigentum; aber man kann es nicht erzwingen. Warum lieben wir unsere Autos so sehr? Weil sie uns persönliche Freiheit schenken – zukünftige Mobilitätslösungen müssen das ebenfalls bieten. Ist das möglich? Ja! Aber nicht einfach. Nach acht Jahren Erfahrung in neun Ländern und 30 Millionen Fahrten kann ich sagen: Wir müssen mit MaaS eine perfekte User Experience anbieten. Zu oft reden wir darüber, was die Autoindustrie will oder was für Städte gut ist. Unsere Untersuchungen zeigen: Über 30 Prozent der Menschen suchen nach Alternativen zum Auto – und finden noch keine.

Olga hat hier große Vorteile mit der Telekom im Rücken.

Olga: Genau! Was wir brauchen sind nahtlose Verbindungen und uneingeschränkte Konnektivität – etwas, das die Telekom über Jahre hinweg gelernt hat. Wir bauen nicht mehr alle Netze selbst; stattdessen integrieren wir sie durch Kooperationen mit Orange, O2, Microsoft und anderen Anbietern. In der Mobilität gilt dasselbe Prinzip: Wenn ich kein Geld habe für Infrastruktur oder Fahrzeuge, muss ich mit privaten Transportprovidern kooperieren – vorausgesetzt der Wille dazu ist vorhanden. Und das ist leider nicht immer der Fall.

Benötigen wir also eine Private-Public-Partnership?

Olga: In der aktuellen Situation ist das der einzig richtige Weg zur Förderung von Mobilitätsveränderungen in Deutschland und Europa. Wir sprechen über begrenzte Ressourcen und Zeitfenster. Daher benötigen wir kluge Partnerschaften zur Gestaltung eines Ökosystems mit Partnern, die bereits über das nötige Know-how verfügen – einschließlich Google für deren europaweites Mapping sowie der Automotive- und Micromobility-Industrie.

Du sprichst dich also klar für Partnerschaften aus! Andreas, warum erleben wir derzeit ein Tal der Tränen bei MaaS? Viele Entwicklungen, wie zum Beispiel das autonome Fahren, kommen langsamer als erwartet. Wie schaust du da drauf?

Andreas: Das halte ich für eine ganz normale Entwicklung! Bereits 2017/18 habe ich geschrieben, dass autonomes Fahren 2022 Realität sein würde – dann kamen Rückschläge. Doch es gibt Zeichen dafür, dass sich alles in die richtige Richtung bewegt! In den nächsten fünf Jahren werden europäische Städte keine privaten Fahrzeuge mehr zulassen; damit ändern sich auch die Rahmenbedingungen hin zu MaaS.

Sampo, was konkret fehlt heute?

Sampo: Wir haben viele Spieler, aber keine Spielregeln. Das macht es sehr schwierig. Was fehlt, ist die Marktregulation. Alle wollen ein Stück vom Kuchen, aber es gibt noch nicht einmal die Zutaten dafür. Wir brauchen kein Ego-System mehr, sondern ein Ökosystem.

Im Fußball gibt es die FIFA und die UEFA, die die Spielregeln definieren. Wer muss das in der Mobilität tun? Wer bestimmt, welche Zutaten wir für den Kuchen brauchen?

Sampo: In Europa haben wir die EU. Ob ich daran glaube, dass sie das schafft? Nein! Die Städte und Regionen müssen vorangehen. Es gibt positive Beispiele wie Turin, Mailand oder Rom. Was jetzt fehlt, sind private Investoren – und die rufen nach Regulierung. Es ist ein Chicken-and-Egg-Problem. Deshalb ist es wichtig, dass Player wie die Deutsche Telekom einfach anfangen. Dann werden auch andere folgen. Und nochmals: Wir müssen darüber nachdenken, was der User wirklich will! Die Menschen suchen einfache Lösungen – das zeigt sich im simplen, multimodalen Pricing und in Abo-Modellen.

Wenn es um die Mutter aller Abos geht, sind wir bei der Telekom. Von den Telkos haben wir gelernt, wie Flatrates funktionieren; ich glaube sogar, dass sich die Fitnessstudios das von der Telekom abgeschaut hat und nicht umgekehrt. Wie schaffen wir es, Mobilität in die Bundles der Telekom zu integrieren?

Olga: Mobilität und Telekommunikation unterscheiden sich da kaum. Wir sind zwar noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem wir Bundles anbieten wie zum Beispiel unbegrenzte Telko-Dienstleistungen plus 600 Kilometer Mobilität. Aber für die Zukunft ist es durchaus denkbar, einen Telko-Vertrag abzuschließen plus x Kilometer Auto, unbegrenzter ÖPNV-Nutzung sowie Scooter und Taxi etc. In Bezug auf Sampo möchte ich sagen, dass ich eine andere Wahrnehmung bezüglich der Investitionsbereitschaft im Mobilitätsmarkt habe. Mein Eindruck ist, dass in Deutschland Geld vorhanden ist; jede Stadt investiert viel Geld in ihre eigene App – nur passt nichts zusammen. Es wird investiert, aber sehr silo-orientiert.

Sampo: Das ist eine Frage der Definition. Man sollte nur in skalierbare Lösungen investieren; diese lokalen Ansätze sind ehrlich gesagt Geldverschwendung und verhindern private Investitionen. Wir könnten zeigen, was digitale Disruption bedeutet, wenn wir Europa als den größten und schnellsten Mobilitätsmarkt betrachten – ohne Inseln hier und da. Das letzte Mal haben wir das im Mobilfunk geschafft; schaut euch an, wie die Telekommunikation in den 80er Jahren aussah – genau so ist es heute in der Mobilität. Dieses Erfolgsmodell müssen wir übertragen.

Olga: Sampo, du bist ein perfekter Ambassador für das Thema Telkos in Mobility!

Ich würde euch abschließend gerne fragen: Warum werden wir uns in fünf Jahren wieder treffen und den großen Erfolg von Mobility-as-a-Service feiern?

Andreas: Weil wir Menschen wie Sampo und Olga um uns haben – mit Euphorie, Leidenschaft und Engagement für dieses Thema! Solche Role Models brauchen wir!

Sampo: In den nächsten fünf Jahren werden neue Typen von Akteuren auf die Bühne kommen: Die Großen wie Bold und Uber – sie bieten bereits MaaS an mit multimodalen Apps ohne es so zu nennen – sowie Unternehmen wie die Deutsche Telekom als Orchestrator. Auch Finanzdienstleister wie Klarna werden auftauchen sowie Versicherer und Einzelhändler. In fünf Jahren werden wir feiern können, dass alle Hand in Hand arbeiten und Mobilität überall leicht nutzbar und verfügbar ist.

Olga, warum wird die Telekom MobilitySolutions erfolgreich MaaS umsetzen?

Olga: Weil wir Erfahrung damit haben, das Kundenerlebnis gut zu gestalten, Connecting People, wie wir sagen. Mobilität gehört dazu. Und weil ich ein tolles Team mit Menschen, die die Zukunft gestalten wollen – für die Gesellschaft, für‘s Klima und für uns alle.

Das ist das perfekte Abschluss-Statement. Herzlichen Dank an Olga, Sampo und Andreas für diese sehr kurzweilige Unterhaltung.

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Dr. Olga Nevska ist CEO der Telekom Mobility Solutions und seit 2009 in unterschiedlichen Funktionen bei der Deutschen Telekom tätig. Die an der Freien Universität Berlin promovierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlerin ist Gastdozentin an der Universität St. Gallen.

Sampo Hietanen ist ein finnischer Unternehmer und Innovator, der vor allem für seine Arbeit im Bereich Mobilität und öffentlicher Verkehr bekannt ist. Er ist Gründer von ‚MaaS Global‘, einem Unternehmen, das die Mobility-as-a-Service (MaaS)-Plattform ‚Whim‘ entwickelt hat.

Dr. Andreas Hermann ist Professor & Direktor des Instituts für Mobilität an der Universität St. Gallen. Er beschäftigt sich insbesondere mit Themen wie intelligente Verkehrssystemen, autonomes Fahren und der Digitalisierung im Verkehrssektor.

Die Fragen stellte Björn Bender, CEO von RailEurope. Die Langversion des Interviews ist auch als Podcast-Folge verfügbar in der Reihe Mobility Pioneers des Instituts für Mobilitt der Universität St. Gallen.

 

August 2024