Weil es Spaß macht!

#gesundmobil mit Arnd Hallemeier

Siebzig Jahre alt und Fahrer bei Lieferando im quirligen Köln? Für Arnd Hallemeier kein Problem. Der Rentner bewältigt mühelos 900 Radkilometer pro Monat, schleppt die Pizza auch schon mal in den fünften Stock und schwimmt an fünf Tagen pro Woche 1.000 Meter Distanz. Warum? Weil es ihm Spaß macht. An der Schwelle zum Ruhestand plante der Diplom-Ingenieur eine Reise mit dem Fahrrad ans Schwarze Meer. Durch sieben Länder, entlang von Rhein, Main und Donau. Doch dann kam Corona.

Herr Hallemeier, was hat Sie zu Beginn der Covid-Krise ausgerechnet auf die Idee gebracht, bei Lieferando anzuheuern?

Zunächst war es nur eine verrückte Idee und ich rechnete nicht damit, dass ich das mehr als ein paar Monate machen würde. Jetzt sind es schon dreieinhalb Jahre und die Bindung zu Lieferando ist heute fast noch stärker als die zu meinem früheren Arbeitgeber. Es war das Radfahren, das mich reizte. Aber auch die sozialen Kontakte spielten eine Rolle, die in dieser Zeit ja bekanntlich sehr eingeschränkt waren. Heute gehöre ich zum harten Kern des Kölner Lieferando-Teams und habe nicht vor, daran etwas zu ändern.

Waren Sie auch schon vorher mit dem Radsport verbunden?

Allerdings! Als ich 19 Jahre alt war, hat ein Kommilitone mir ein Fahrrad geschenkt. Zum ersten Mal seit meiner Kindheit stieg ich in die Pedale und in dem Augenblick hat sich mein Leben verändert. Der Horizont wurde weit, die Welt gehörte mir. Plötzlich schien alles erreichbar. Ich hörte nicht mehr auf zu fahren und ich hatte bald so viel Kraft, dass ich mit meinem Drei-Gang-Rad jedes Rennrad überholte.

Dass Radfahren auch ein Sport ist, lernte ich erst zehn Jahre später, als ein Kollege mich fragte, ob ich für den Radsportverein des Unternehmens an einem Rennen teilnehmen möchte. Von da an bin ich zig Jahre lang an fast jedem Wochenend- und Feiertag Rennen gefahren. 

Aber auch den Weg zur Arbeit habe ich mein ganzes Berufsleben lang mit dem Zweirad bewältigt. Als ich 1981 beim TÜV anfing, galt ich noch als Sonderling und ein Kollege fragte mich hinter vorgehaltener Hand: „Sind Sie ein Grüner?“ Ich war weit und breit der Einzige, der die 30 Kilometer pro Tag auf diese Weise zurücklegte. Und damals gab es so gut wie keine Fahrradwege! Als ich nach Duschen oder Umkleiden fragte, erntete ich nicht mehr als ein Lächeln. Aber schon kurze Zeit später hatte ich durchgesetzt, dass vor dem Haupteingang nicht nur die Limousinen der Vorstände parkten, sondern auch ein Fahrradstellplatz eingerichtet wurde.

Da ist es ja nur konsequent, dass Sie viel später das Radfahren zum Beruf gemacht haben. Dennoch ist der Weg vom TÜV-Sachverständigen zum Kurierfahrer ein ungewöhnlicher. Zumal Sie in einer Lebensphase sind, in der andere mit dem E-Bike zum Biergarten fahren und es sich gutgehen lassen.

Darüber wundern sich natürlich viele. Früher kam ich als TÜV-Sachverständiger auf die Baustelle und da wurde gemacht, was ich sage. Heute stehe ich scheinbar in der Hierarchie ganz unten. Aber so nehme ich das interessanterweise gar nicht wahr. Zunächst einmal gibt es bei uns Auto-, Moped- E-Bike und ‚Biobike‘-Fahrer, also die ohne jede Motorisierung. Zu denen zähle ich und wir stehen im Ansehen ganz oben. Außerdem wird uns von der Bevölkerung mehr Respekt entgegengebracht, als man gemeinhin denkt. Wenn ich im trubeligen Kölner Karneval durch die Straßen fahre und laut „Achtung, Lieferando!“ rufe, dann teilt sich vor mir die Menschenmenge – gerade so wie sich im Alten Testament das Rote Meer teilte. (lacht)

Was schätzen Sie noch an dieser Aufgabe?

Für mich ist wichtig, immer in Bewegung zu bleiben. Körperlich, geistig und sozial. Das alles bietet mir dieser Job. Ich lerne viele unterschiedliche Menschen kennen: Kunden, Restaurantpersonal und Passanten. Ich erschließe mir neue Stadtteile und deren Milieus – bis hinein in die Hinterhöfe oder die Küchen der Restaurants. Und ich bleibe geistig fit durch das Navigieren in der Großstadt und durch das digitale, papierlose Arbeiten mit dem Smartphone, was für mich eine ganz neue Welt ist.

Freude an der körperlichen Bewegung habe ich sowieso. Der gesunde Lebensstil kommt da als schöner Nebeneffekt einfach mit dazu. Ich liebe es, wenn nach Schichtbeginn der erste Auftrag auf dem Smartphone erscheint, der Adrenalinspiegel steigt und der Ehrgeiz, den Job schnell und gut auszuführen. Aber auch das Gefühl, wenn die Schicht zu Ende ist und ich so müde bin, dass ich die dreißig Meter bis zur Haustür nur noch mit Mühe schaffe. Dann fällt die Anspannung ab und ich bin glücklich und zufrieden.

Wie reagieren Ihre Kunden und jüngeren Kollegen auf Sie?

Zu meinen Kunden habe ich fast immer ein gutes Verhältnis. Bei einigen merke ich, dass sie ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich das Essen aus dem Restaurant gegenüber bringen lassen und mich die Treppe hochkommen sehen. Manche sind einsam und freuen sich, wenn ich mir [ein wenig] Zeit für eine kurze Unterhaltung nehme. Da kommt es dann vor, dass ich noch spät abends über die App ein zusätzliches Trinkgeld bekomme, weil eine solche Begegnung im positiven Sinne nachwirkt. Der soziale Aspekt an diesem Job ist nicht zu unterschätzen und häufig ist es mehr, als Essen von A nach B zu bringen. Ich versuche immer, auch den Menschen zu sehen.

Von den Kollegen bekomme ich häufig Komplimente für meine Haltung, aber auch für meine Fitness. Viele machen diesen Job nur für kurze Zeit und es ist ein Kommen und Gehen. Es gibt aber auch einen beständigen Kern von circa 150 Kollegen. Unter denen herrscht ein großer Zusammenhalt auch über die Arbeit hinaus. Ich weiß, dass ich da für viele eine Vorbildfunktion ausübe und das freut mich. Ich habe auch schon einige Menschen dazu gebracht, bei Lieferando anzufangen.

Was empfehlen Sie Menschen, die ihren Arbeitstag überwiegend am Schreibtisch verbringen und bei denen Bewegung zu kurz kommt?

Ich fahre Fahrrad, weil es mir Freude macht und weil es mir gut dabei geht. Dabei habe ich keinerlei Sendungsbewusstsein und versuche auch nicht, andere zu belehren. Ich bin Macher, kein Missionar. Und ich freue mich, wenn ich dadurch [anderen] ein Vorbild sein kann. Aber schlussendlich muss jeder für sich selbst herausfinden, wie bereichernd es sein kann, in Bewegung zu bleiben. Ob das auf dem Fahrrad, dem Laufband oder im Schwimmbad ist, das ist eine individuelle Entscheidung. Einen Tipp habe ich aber: gehen Sie nicht zu ernst an die Sache ran. Das Wichtigste ist, dass es Spaß macht!

Wenn Sie drei Wünsche für die Zukunft frei hätten, welche wären das?

Mein größter Wunsch ist es, mit neunzig noch auf dem Fahrrad nach Holland ans Meer zu fahren. Das ist mein Lebensziel. Dann kommt auch gleich Wunsch Nummer zwei: ich bin in meinem Leben 340.000 km Rad gefahren und möchte gerne eines Tages die halbe Million voll machen. Nummer drei? Ich wünsche mir, dass Radfahrern in unseren Städten mit mehr Wertschätzung begegnet wird. Wir werden häufig als Problem, nicht als Lösung gesehen. Das merkt man daran, dass der Ausbau der Fahrradinfrastruktur immer nur als Stückwerk und nicht ganzheitlich erfolgt. Das geht definitiv besser.

Und dann steht da natürlich auch immer noch das Schwarze Meer auf der Wunschliste. Aber dafür fehlt mir im Moment neben Klavier- und Gitarrenunterricht, meiner täglichen Schwimmeinheit und dem Job bei Lieferando einfach die Zeit.

Vielen Dank, lieber Herr Hallemeier. Wir wünschen Ihnen noch viele Rad-Kilometer, spannende Begegnungen und dabei jede Menge Vergnügen. Von Ihnen können wir alle viel lernen.