Für die Verkehrswende braucht es eine mutige Verkehrspolitik!
#gesundmobil – Interview mit Helmut Wiesner
Um den Individualverkehr zu reduzieren, geht die Stadt Bonn neue Wege und schafft Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Mobilitätsmittel. Im Rahmen unserer Serie #gesundmobil sprachen wir mit Helmut Wiesner, seit 2016 verantwortlich für das Dezernat für Umwelt, Stadtplanung und Verkehr in der Bundesstadt am Rhein, die auch Sitz der Telekom-Zentrale ist.
Herr Wiesner, die Stadt Bonn hat ehrgeizige Pläne für umwelt- und gesundheitsfreundliche Alternativen zum Autoverkehr. Was sind die wichtigsten Maßnahmen, um den Bürgerinnen und Bürgern den Wechsel auf nachhaltige Verkehrsmittel zu erleichtern?
Unsere zentrale Aufgabe ist es, eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur bereitzustellen. Diese muss so gestaltet sein, dass Menschen sicher und bequem von A nach B gelangen können. Wir haben einen Klimaplan und einen Ratsbeschluss, der besagt, dass der Anteil des Autoverkehrs in Bonn bis 2030 nur noch 25 Prozent betragen soll. Der Rest wird dann im Umweltverbund stattfinden, sei es mit dem Fahrrad, zu Fuß oder im öffentlichen Nahverkehr.
Wie sieht eine solche Infrastruktur konkret aus?
Wir organisieren den Verkehr in so genannten Mobilitätsketten. Dafür befindet sich ein System von Mobilstationen im Aufbau, von wo aus jedes Ziel bequem erreichbar ist. Wenn ich also zum Beispiel mit der Bahn am Bonner UN-Campus ankomme, dann kann ich meine Reise von dort aus mit verschiedensten Verkehrsmitteln fortsetzen: mit dem Bus, dem E-Scooter oder dem Mietfahrrad für die letzte Meile. In ein paar Jahren dann sogar mit einer Seilbahn, die sich nahtlos in das bestehende Verkehrsnetz integriert. An jeder Mobilstation gibt es außerdem komfortable Fahrradabstellanlagen, häufig sogar abschließbare Fahrradboxen, Carsharing-Stationen oder Lastenbikes.
Ein weiterer Kern unserer Mobilitätspolitik ist es, das Radfahren als gesunde und umweltfreundliche Alternative zu fördern. Deshalb entwickeln wir seit einigen Jahren ein neues, sicheres Fahrradnetz, das verschiedene Routenqualitäten umfasst – von Radschnellwegen bis hin zu Radpendlerrouten. Denn das Fahrrad ermöglicht nicht nur umweltbewusstes Reisen, sondern ist gerade bei ‚Büromenschen‘ das perfekte Vehikel, um die fehlende Bewegung ein Stück weit zu kompensieren.
Wie kooperieren Sie dabei mit den Arbeitgebern der Region?
Die Verkehrswende gelingt nur, wenn alle Akteure eng zusammenarbeiten. Der politische Wille ist entscheidend, aber erfolgreich sind wir nur gemeinsam. Ein prominentes Beispiel dafür ist unsere Initiative JOBWÄRTS. Seit 2019 setzen wir gemeinsam mit über 40 lokalen Unternehmen darauf, die Mitarbeitenden durch Test-Angebote zum autofreien Pendeln zu ermuntern. Dabei unterstützen wir Arbeitgeber aus der Region bei der Analyse und Optimierung ihres betrieblichen Mobilitätsmanagements. Aufgrund seines Erfolgs wird das Projekt in 2024 neu aufgelegt und in noch größerem Rahmen fortgesetzt. Aber auch darüber hinaus pflegen wir den intensiven Dialog zwischen öffentlichen und privaten Verkehrsträgern und Arbeitgebern.
Das öffentliche Nahverkehrsangebot in Bonn gilt als eines der besten des Landes. Wie stehen Sie insgesamt im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland da?
Das stimmt. Im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Aachen, Bielefeld oder Münster schneiden wir sehr gut ab. Es gibt kaum einen Außenbezirk ohne regelmäßige Anbindung und das Angebot wird immer besser. Mir kann heute keiner mehr erzählen, dass man in Bonn mit dem ÖPNV nicht gut vorankommt und das Auto auch mal stehen lassen kann.
Wir haben in Deutschland fünfzig Jahre lang dem Auto den roten Teppich ausgerollt und müssen einfach akzeptieren, dass dieser jetzt eingerollt werden muss. Der öffentliche Raum ist begrenzt. Wenn ich mehr Fuß- bzw. Radverkehr und auch ÖPNV haben will, muss der umverteilt werden. Wir sind aber keine ‚Ökodiktatur‘, in der das Autofahren verboten wird. Vielmehr ist unser Ansatz, über die Schaffung von attraktiven Angeboten ein Umdenken zu erzeugen. Am Ende entscheidet natürlich jeder selbst darüber, die neuen Angebote zu nutzen oder nicht. Es braucht aber schon auch den Wunsch, mal etwas Neues auszuprobieren und dabei hoffentlich zu erfahren, wie kurz die Wege sind, wenn ich auf alternative Verkehrsmittel umsteige. Genauso wie wir als Stadt bereit sind, neue Wege zu gehen. So haben wir kürzlich das automatisierte Fahren auf dem Campus der Uniklinik eingeweiht. Außerdem ist Bonn in Deutschland führend bei der Entwicklung einer in den ÖPNV integrierten Seilbahn.
Welche Städte betrachten Sie als besonders innovativ, wenn es um nachhaltige Mobilität geht?
Da gibt es einige Beispiele. Kopenhagen ist ein großes Vorbild für mich. Die Stadt hat den Wandel von einer autogerechten zu einer fahrradfreundlichen Stadt erfolgreich vollzogen. Sie bietet hervorragende Radverkehrsbedingungen und einen effizienten öffentlichen Nahverkehr, einschließlich einer selbstfahrenden Metro. Das Thema autonomes Fahren ist auch für uns in Bonn interessant, um die Herausforderungen im ÖPNV, insbesondere die Personaldefizite, zu bewältigen.
Auch das Projekt Superblocks in Barcelona finde ich spannend. In Bonn testen wir ähnliche Ansätze mit den Bönnsche Viertel, wo es um Quartiersverkehre geht. Diese sollen eine bessere Integration von Wohnen und Arbeiten ermöglichen und die Mobilitätskette optimieren.
Es gibt einen klaren Megatrend zur Transformation in Städten aller Größenordnungen. Paris hat durch die Olympischen Spiele bedeutende Veränderungen im Verkehrswesen angestoßen. Solche Entwicklungen erfordern aber eine Menge Durchsetzungsvermögen und eine offene Stadtgesellschaft, die bereit ist, Veränderungen zu akzeptieren und aktiv in ihren Alltag zu integrieren.
Wenn wir zehn Jahre in die Zukunft blicken: Wie wird die Mobilität in Bonn aussehen?
Wir werden einen neuen Nahverkehrsplan eingeführt haben. Mit innovativen Projekten und einem klaren Fokus auf Nachhaltigkeit und die Gesundheit von Umwelt und Menschen. Der Individualverkehr wird signifikant geringer sein und elektrisch betrieben. Die neue Seilbahn ist in Betrieb und das autonome Fahren, zumindest für die Quartiersverkehre, zum Standard geworden. Durch technologische Fortschritte und digitalisierte Angebote werden wir die Personalengpässe ausgleichen und unser Angebot einer nahtlosen und komfortablen Mobilität noch weiter verbessert haben.
Worauf werden Sie dann besonders stolz sein?
Ich wünsche mir eine Stadt mit weniger Autoverkehr und mehr Platz für RadfahrerInnen und FußgängerInnen. Mit dem Effekt einer besseren Luft- und Lebensqualität für alle Bürgerinnen und Bürger. Ich hoffe, ich werde in zehn Jahren stolz darauf sein, dass die Menschen gerne auf das Auto verzichten und stattdessen alternative Verkehrsmittel nutzen – für eine lebenswerte Stadt Bonn.