„Die Zeit läuft, verlasst eure Silos!“
Nachhaltige, vernetzte und bedarfsorientierte Mobilität – das ist die Vision von Dr. Olga Nevska , CEO von Telekom MobilitySolutions. Im ÖPNV vermisst sie solche Angebote.
RegioSignaleBlog: Frau Dr. Nevska, mit 23.000 Fahrzeugen managen Sie die zweitgrößte Firmenflotte Deutschlands. Mit Blick auf die CO2-Bilanz steht aber der Pendelverkehr im Fokus. Er generiert 69 Prozent der mobilitätsbedingten CO2-Emissionen. Das hat mich überrascht.
Dr. Olga Nevska: Das verstehe ich. In der Öffentlichkeit stehen Firmenwagen oft unter Generalverdacht. Dabei werden die meisten Emissionen dadurch verursacht, dass wir, also Sie, ich und andere Berufstätige, zur Arbeit pendeln. Ganz gleich, ob wir das eigene Auto, den Firmenwagen, Bus oder Bahn nehmen – was betriebliche Mobilität betrifft, emittiert der Pendelverkehr unter dem Strich das meiste CO2. Wir bieten unseren Mitarbeiter:innen mittlerweile zahlreiche Optionen wie Jobticket, BahnCard, Auto-Abo, Shuttle-on-Demand, Carsharing und Fahrrad. Trotzdem kommen gut 60 Prozent nach wie vor mit dem eigenen Auto zur Arbeit.
RegioSignaleBlog: Warum ist das so? Was hält die Leute vom Umstieg auf den ÖPNV ab?
Dr. Olga Nevska: Das haben wir unsere Mitarbeitenden auch gefragt. Ihre Antwort lautet: „Wir brauchen flexible und garantierte Mobilität und wollen nicht auf Komfort verzichten.“ Auf unseren Standort bezogen bedeutet das: Wenn sie schon ihr Auto stehen lassen, dann wollen sie dennoch nahtlose Mobilität und die letzten anderthalb Kilometer vom Bahnhof nicht zu Fuß laufen. Wir haben daraus den Schluss gezogen, dass wir vernetzte Angebote bereitstellen müssen, mit denen sich Optionen wie Carsharing, Busse und Bahnen, On-Demand-Shuttles oder Scooter flexibel und bedarfsgerecht kombinieren lassen.
RegioSignaleBlog: Wäre das nicht Aufgabe der ÖPNV-Branche, die neue Kund:innen gewinnen muss?
Dr. Olga Nevska: Der ÖPNV lebt noch zu sehr in seinen alten Angebotsmodellen. Es gibt Verbünde, Jobtickets und Einzelfahrscheine, aber keine vernetzten, deutschlandweit verfügbaren Angebote. Kein ÖPNV-Unternehmen kommt auf uns zu und fragt, welchen Bedarf unsere Beschäftigten haben und wie man ihnen den Umstieg auf den ÖPNV erleichtern könnte. Dabei würde ich gerne antworten, dass unsere Beschäftigten bedarfsgerechte Mobilität aus einer Hand brauchen, möglichst einfach buchen möchten und auf der letzten Meile nicht allein gelassen werden wollen. Außerdem hätten sie dort, wo es keinen ÖPNV gibt, gerne eine Carsharing-Lösung. Dass solche Angebote machbar sind, sehen wir im Großraum Köln/Bonn, wo wir gemeinsam mit der VRS im Herbst einen Piloten starten werden.
RegioSignaleBlog: Möglicherweise eine gute Lösung für Köln/Bonn, aber nicht genug, um mobilitätsbedingte CO2-Emissionen konzernweit zu reduzieren.
Dr. Olga Nevska: Deshalb werden wir nötige Lösungen künftig selbst realisieren, wenn sie nicht verfügbar sind. Natürlich ist Mobilität nicht unsere eigentliche Aufgabe. Aber wir sind einer der großen digitalen Player im Land und können Menschen vernetzen. Und wir haben verstanden, was unsere Mitarbeitenden brauchen. Also investieren wir weiter in unsere digitale Plattform, die verschiedene öffentliche und Telekom-interne Verkehrsmittel in einer App bündelt und unseren Beschäftigten genau die Mobilität bietet, die sie brauchen. Wir testen dabei auch erste Bundling-Angebote von Mobilitäts- und Nicht-Mobilitätsservices wie zum Beispiel Versicherungslösungen. Fehlt etwa am Zielbahnhof der gebuchte Scooter für die letzte Meile, kann sich der Kunde bei gleichem Preis ein Taxi nehmen.
RegioSignaleBlog: Kleine Betriebe, zumal im ländlichen Raum, können sich das aber nicht leisten.
Dr. Olga Nevska: Das sollen sie auch gar nicht. Wir sprechen ja über skalierbare Plattformen, die wir mit anderen Unternehmen teilen. Kleine Betriebe irgendwo auf dem Land können ihren Mitarbeitenden also bedarfsgerechte und nachhaltige Mobilitätsangebote machen und dafür unsere Plattform nutzen. In der Fläche könnte so eine zusätzliche Nachfrage dazu führen, dass neue Mobilitätsangebote hinzukommen – und die Angebotsqualität insgesamt besser wird.
RegioSignaleBlog: Warum entwickelt die ÖPNV-Branche solche Lösungen nicht selbst?
Dr. Olga Nevska: Die Aufgabe wäre jetzt schon zu komplex. Sie wird aber noch viel schwieriger, weil auf die Mobilitätsbranche ähnlich disruptive Umbrüche zukommen werden wie in den vergangenen 20 Jahren auf den Telekommunikationssektor. Kriterien wie Sinn und Zweck einer Fahrt werden künftig eine wichtige Rolle spielen, Abomodelle und Bundling-Produkte ebenfalls. Die Telekom musste sich in den letzten Jahren mehrmals neu erfinden – wir wissen, was es bedeutet, das erforderliche Knowhow aufzubauen, Experten für Data Analytics oder Künstliche Intelligenz zu gewinnen und kundenzentrierte Angebote zu entwickeln. Google weiß das auch. Mir wäre es aber lieber, wenn wir diesen datengetriebenen Innovationsprozess innerhalb Europas vorantreiben und in Deutschland die dafür nötigen Voraussetzungen schaffen würden.
RegioSignaleBlog: Denken Sie dabei an das „nationale Mobilitäts-Ökosystem“, für das Sie jüngst in der Presse geworben haben?
Dr. Olga Nevska: Das mache ich tatsächlich. Denn wenn wir die Verkehrswende voranbringen und die Klimaziele erreichen wollen, dürfen wir uns nicht damit aufhalten, dass jeder sein eigenes Ökosystem aufbaut. Stattdessen müssen wir lernen, unsere Silos zu verlassen, zu teilen und unkonventionelle Wege zu gehen. Denn es fehlt nicht an Mobilitätslösungen, sondern am Mut, das Mögliche branchenübergreifend in Angriff zu nehmen.
Quelle: RegioSignale